Der Lykische Weg mit Baby und Zelt – Woche 4: Ankunft nach 500 Kilometern

Der Lykische Weg mit Baby und Zelt – Woche 4: Ankunft nach 500 Kilometern

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Fünf Tage, die alles in sich tragen

Die letzten fünf Tage auf dem Lykischen Weg spiegeln unsere ganze Reise wider: Berge, Meer, Einsamkeit, Herausforderungen, Ungewissheit, Verbindung und Freude. Schlussendlich sind wir aber nach 500 Kilometern und 16 000 Höhenmetern angekommen.

Ohne Wasser nach Göynük 

Nach einer frischen, kurzen Nacht in Yayla Kuzdere auf 900 Metern brachen wir in aller Frühe auf. Die Dame, die die Unterkunft führte, winkte uns vom Fenster zu. Es ging auf relativ unspektakulären Wegen, aber mit sehr schönen Ausblicken, bis nach Gedelme zum Frühstück. Wohl gestärkt liefen wir danach weiter bis zum sogenannten Doğa Camp, und auf dem Weg dorthin begegneten uns grössere Reisegruppen.

Im Doğa Camp gab es für uns das typische türkische vegetarische Essen, das wir auch schon am Tag davor zum Abendessen und am Tag davor zum Mittag gegessen hatten: grüne Bohnen in Tomatensauce mit Reis oder Brot. Trotzdem war’s herrlich – in den Bergen schmeckt alles gut. Wir assen es neben einem Gewehr, nachdem wir beziehungsweise Cleo mit dem Sohn der Köchin telefoniert hatten. Wenig später kamen auch drei australische Wanderer im Doğa Camp an. Sie wollten dort schlafen, wurden aber abgewiesen – anders als in einer Berghütte in den Alpen –, da alles ausgebucht war.

Da die nächste Etappe noch rund 20 Kilometer mit 1200 Metern Abstieg und 400 Metern Aufstieg hatte, machten wir uns etwas Sorgen um ihre Sicherheit. Wir selbst planten, noch etwa die Hälfte oder zwei Drittel der Etappe zu laufen, um an einer Quelle wild zu campen. Und so stiegen wir in den Canyon hinab. An manchen Stellen kreuzten wir das Flussbett im Canyon, und Ivos Sandalen glänzten, während Marie die Schuhe auszog.

Wir trafen auch auf zwei grosse Gruppen von Wanderinnen und Wanderern aus Russland – nun verstanden wir, warum das Doğa Camp ausgebucht war. Beim Gegenanstieg kamen uns mehrfach Personen entgegen, die uns durstig fragten, wo es das nächste Wasser gebe. Ivo erklärte es bereitwillig, doch langsam dämmerte uns: A) das Tageslicht wurde knapp, und B) die Wanderer hatten wahrscheinlich kein Wasser gefunden. Was war also mit unserer Quelle? Auch auf OsmAnd Maps war sie nicht verzeichnet.

Der Sonnenuntergang über dem Meer war wunderschön rot, doch unsere Befürchtung bewahrheitete sich – die Quelle schien seit längerer Zeit versiegt. Also setzten wir die Stirnlampen auf und stiegen schlussendlich etwas unfreiwillig weiter in den Canyon hinab, bis wir wieder auf Wasser trafen. Skurrilerweise trafen wir nach 30 Kilometern und mehreren Kilometern ohne Wasser nicht nur auf solches, sondern auch auf einen Selbstbedienungs-Eisstand, WCs, Zipline-Anlagen und Rafting-Einrichtungen im bekannten Outdoor-Paradies Göynük Canyon – allerdings ohne eine Menschenseele.

Nachdem Ivo uns gut versorgt und das Angebot des Nachtwächters, für 10 Dollar das Zelt aufzustellen, freundlich abgelehnt hatte, fanden wir einen schönen, flachen Zeltplatz unter Pinien.

Ruhetage in Göynük – und ein Schock

Am nächsten Tag sollte das Wetter kippen. Um dem Regen zu entgehen, wollten wir einen halben Ruhetag in Göynük einlegen. Da wir nun schon weiter gelaufen waren, trennten uns nur noch fünf Kilometer von der Stadt. Wir gönnten uns ein grosses Kahvaltı (türkisches Frühstück). Da Göynük kein besonders grosser Ort ist – oder wir mit Baby und Rucksäcken sehr auffallen – fand uns unser Pensionsbesitzer schon im Restaurant und brachte uns zu sich nach Hause.

Wir waren erleichtert, als wir dort die Australier wieder trafen, und sprachen mit ihnen über die letzten drei Wochen Abenteuer. An diesem Tag wuschen wir unsere Wäsche und kauften ein.

Wir wollten endlich Mantı essen – türkische Ravioli mit Linsenfüllung. Ivo liess seinen Charme spielen und bekam Unterstützung von der Pensionsbesitzerin. So assen wir sie mit authentischer Joghurt-, Knoblauch-, Chili- und Minzsauce. Anschliessend gab es noch eine Einladung zum Rakı, und Ivos Fünf-Sterne-Google-Bewertung war besiegelt.

Am nächsten Morgen sollte das Wetter wieder besser sein, und wir wollten weitergehen. Also packten wir unsere Rucksäcke, assen ein Börek to go und verliessen die Stadt, während sie langsam erwachte.

Wir kamen allerdings nicht weit: Nach 40 Minuten – bei einem Granatapfelsaft-Stand – öffnete der Himmel seine Pforten. Es regnete, wir diskutierten. Auf den nächsten Etappen sollte es keine Unterstellmöglichkeit geben, für den Nachmittag waren Gewitter angesagt, und wir hätten über einen Bergpass gehen müssen. Wir erinnerten uns an unsere Intention, konservativ zu entscheiden, und kehrten in die Pension zurück.

Nach einem kurzen Schläfchen für Marie folgte der nächste Schock: Ihr Körper war über und über mit roten Punkten übersät, die sich zu rund 500 Quaddeln entwickelten. In dieser tollen Fünf-Sterne-Pension hatte es Bettwanzen. Zum Glück blieb Cleo verschont, Ivo ebenfalls – meist schlafen wir in Dreibettzimmern, sodass alle etwas mehr Platz haben, da Cleo manchmal zwei Drittel eines grossen Betts in Beschlag nimmt.

Während Marie damit beschäftigt war, sich nicht zu sehr zu kratzen, wuschen wir Wäsche und desinfizierten alles durch Hitze: Die Sachen, die wir nicht waschen konnten, steckten wir in dunklen Säcken in die Sonne. Und ja – vom Gewitter war keine Spur mehr. Das Wetter war den Rest des Tages strahlend sonnig. Vielleicht war es aber besser, bei dieser Bettwanzen-Erfahrung doch im Ort zu sein und nicht auf einem Gipfel.

Am Abend kochte Ivo nochmals Mantı, und auch am nächsten Morgen grüsste das Murmeltier: Wir assen wieder Börek to go, diesmal jedoch ohne Regen. Ein kleiner Lastwagen, der die Restaurants mit Brot belieferte, hielt neben uns und schenkte uns zwei noch warme Brötchen mit Sesam. Wir assen sie im Gehen und liefen am ersten von zwei toten, 10 Zentimeter langen Skorpionen, die wir noch sehen sollten, vorbei – Richtung Canyon.

Durch den Göynük Canyon und über den letzten Pass

Wir stiegen durch den Göynük Canyon 1500 Meter hoch. Am Anfang lagen einige Pferdeäpfel auf dem Weg, und Ivo fragte sich, ob wohl mehrere Pferde vorbeigelaufen seien. Marie dachte, es sei eine Standardreitroute für Touristinnen – umso mehr staunten wir, als plötzlich ein mageres Pony mitten im Nirgendwo ohne Halfter oder Sattel stand. Da es so dünn aussah, fütterte Ivo es mit unseren Haferflocken (wie schon Bruno auf Korsika). Was das Pony dort machte und wem es gehört, bleibt unklar.

Nach einem herbstlich anmutenden Aufstieg wartete ein herrlicher Pass auf uns, bei dem wir über Felsen kletterten, die übrigen Süssigkeiten aus Göynük assen und am Pass Mittagspause machten. Es folgten einsame Kilometer ohne Einkehrmöglichkeit, dafür mit den ersten Blicken auf Antalya in der Ferne.

Da wir nicht so hoch schlafen wollten, damit Cleo nachts nicht friert, stiegen wir bis zu einer Bachkreuzung mit Staudamm auf etwa 400 Meter ab. Nach insgesamt 30 Tageskilometern stellten wir unser Zelt in einem Nadelwald auf und kochten Pasta mit Pesto. Die Nacht war allerdings wieder frisch, da es nach dem Regen abgekühlt hatte. Insgesamt hat es auf unserer Reise im Oktober nun schon fünfmal geregnet – im September kein einziges Mal, als hätte die Wettergöttin einen Monatskalender. Gut, dass unsere Wanderung bald zu Ende ist, sonst bräuchten wir andere Ausrüstung.

Nun stand die letzte Etappe auf dem Lykischen Weg an. Da es wieder bergauf ging, frühstückten wir unsere übrigen Haferflocken und stiegen mit herrlichen Aussichten zu unserem letzten Pass auf 1400 Metern auf. Dieser wirkte allerdings deutlich tiefer als der Pass am Vortag.

Am Gipfel machten wir noch einmal Rast auf herrlich gelben Graswiesen und assen gelbes Kartoffelpüree – allerdings ohne Salz. Ivo hatte die Idee, Kartoffelpüree mit Helva (türkische Sesam-Süssspeise) zu essen. Fazit: Wir haben gelernt, dass Helva zu allem passt – und im schlimmsten Fall auch pur gegessen werden kann, ebenso wie Olivenöl. Die Leinsamen aus Bozen haben unsere Reise tatsächlich überdauert; vielleicht essen wir sie ja auch noch mit Helva.

Nach dem letzten Aufstieg kam auch der letzte Abstieg – und die letzten Ruinen. Wir liefen an so vielen Ruinen vorbei, wir haben den Überblick verloren. Dort bekamen wir den ersten High-Five von einem Sibirier, der mit seinem turkmenischen Freund die Ruinen (und uns) besichtigte.

Wir liefen die letzten Kilometer bis Geyikbayırı, einem der besten Klettergebiete der Türkei – und dem Ende des Lykischen Weges.

Ankunft und Rückblick

Wir kamen in Geyikbayırı an, doch anscheinend waren alle am Klettern. Da wir etwas ausgehungert aussahen, bekamen wir noch zwei Burritos und besuchten einen vortrefflichen Koch, von dem unser Freund Remo vorgeschwärmt hatte. Leider kochte er nur auf Reservation, und die Saison hatte noch nicht begonnen. Er bot uns aber Kaffee an, und wir führten ein schönes Gespräch, bevor wir die letzten 700 Meter des Weges in Angriff nahmen. So blieb noch etwas übrig, das wir gustatorisch erleben möchten, wenn wir zurückkehren.

Und dann war dieser Weg tatsächlich geschafft. Zwar stand am Endpunkt des Lykischen Weges das Schild: Start – 509 km – erster Weitwanderweg der Türkei, doch für uns war es ein Endpunkt. Das Abenteuer ging jedoch weiter – und zwar nach nicht mal einer Minute Hand (nicht Daumen) hochhalten, um zu trampen.

Fazit

Wir haben es geschafft! Weitwandern mit Baby ist möglich – und eine tolle Erfahrung für uns alle drei. Durch Cleo durften wir extra viel Gastfreundschaft und Liebe spüren und sahen das äusserst babyfreundliche Gesicht der Türkei.

Wir haben überlegt, welche die schönsten Tage waren – und konnten uns nicht entscheiden. Jeder Tag war anders, jeder Tag wunderschön, und wir möchten keinen einzigen missen.

Der Weg hat uns vieles gelehrt. In schwierigen Momenten erinnerten wir uns daran, dass wir gerade ein Abenteuer erleben – und dass genau diese Herausforderungen dazugehören. Eine Einstellung, die auch im normalen Leben hilfreich sein kann. Denn: Das Leben ist ein Abenteuer!


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