Der Lykische Weg mit Baby und Zelt – Woche 2: Höhen, Tiefen und Überraschungen

Bisher hatten wir immer gesagt: Wir wollten den gesamten Lykischen Weg bis Antalya laufen – falls es mit Cleo möglich sei. Die Annahme war: Den Weg würden wir locker schaffen, aber vielleicht könnte es wegen Cleo schwierig werden. Diese Woche sollte uns eines Besseren belehren: Der Lykische Weg ist auch ohne Baby eine Herausforderung, und es ist alles andere als selbstverständlich, dass wir ihn bis zum Ende laufen können.
Und als wir diese Zeilen schrieben, war erst die halbe Woche herum. In der zweiten Hälfte sollten noch mehr Überraschungen folgen…

Nach Kalkan: Aufwärts!
Nach Kalkan gab es laut Reiseführer nur eine Richtung: aufwärts. Obwohl wir beide gerne Höhenmeter machen, hatten es die nächsten Kilometer in sich. Nicht wegen der Steilheit, sondern weil der Weg durch neu gebaute Villen und ihre Mauern immer wieder unterbrochen war. Die Suche nach dem richtigen Pfad war entsprechend mühsam.
Nach etwa 450 Höhenmetern gönnten wir uns eine Frühstückspause mit Blick auf Kalkan und die Bucht tief unter uns. Ivo erfand eine neue „Trail Cuisine“: Peanutbutter mit Halva – köstlich! Danach ging es noch einmal 300 Höhenmeter weiter auf eine Hochebene, von der wir eigentlich die schneebedeckten Gipfel des Taurus sehen sollten. Doch Schnee war keiner zu sehen.
Wir durchquerten die Ortschaft Bezirgan und fanden einen Feigenbaum. Ivo fragte eine ältere Dame, ob wir ein paar Früchte pflücken dürften. Kaum hatte sie Cleo in der Trage erblickt, rief sie „Mashallah“, lief zu uns und steckte Cleo kurzerhand einen 20-Lira-Schein in die Trage. Alle unsere Versuche, das Geschenk zurückzugeben, scheiterten – und so war dies Cleos erstes verdientes Geld.
Wir liefen noch etwas weiter bis Sarıbelen, wo wir in einem herrlichen Hippie-Café frühstückten und eine lange Mittagspause machten. Dort trafen wir auch ein Paar aus Dresden, das wir bereits am ersten Tag kennengelernt hatten. Wir unterhielten uns über Blasen, Schuhwerk und Navigation, bevor wir zur nächsten Etappe aufbrachen.






Hirtenleben und goldene Gräser
Am Nachmittag lockte eine Etappe, die im Wanderführer mit einem Sternchen versehen war – besonders schön. Wir liefen über kleine Wege durch eine eher flach-karge Landschaft und hatten spektakuläre Ausblicke auf viele kleine Inseln. Mal lag das Meer links, mal rechts, dazwischen Olivenbäume und Trockenmauern.
Wir kamen bei Hussein, einem Ziegenhirten, seiner Frau, deren Tochter und ihrem Mann an und konnten kaum glauben, dass dieses einfache Bergbauernleben nur einen Tagesmarsch vom sehr touristischen Kalkan entfernt war – inklusive keinem Handyempfang. Ivo und Cleo unterhielten sich mit der Hirtenfamilie, während sich einer der Männer mit einem Gewehr aufmachte, um Schakale zu jagen.
Auch wir zogen weiter, über herrliche gelbe Grasflächen, gesäumt von alten Trockenmauern, auf rotem Boden. Nach insgesamt 25 km erreichten wir Gökçeören, wo wir bei einer Pension auf einer Art Balkon unser Zelt aufstellten, duschten und mit einem Dinner den Tag beendeten. Dabei trafen wir noch zwei weitere Hiker: einen Schotten und einen Mann aus der Türkei, beide im besten Alter.








Abstieg nach Kaş
Der nächste Tag startete wieder mit dem ersten Morgengebet. Wir liefen recht zügig acht Kilometer durch herrliche Pinienwälder bergab und hatten zum ersten Mal ein kleines Gefühl von kühlem Morgen. Auch hier scheint es langsam Herbst zu werden – allerdings bedeutet „Herbst“ hier etwas anderes als in Deutschland, der Schweiz oder Südtirol.
Nach einem schweisstreibenden Aufstieg und einer Quelle unter einer Platane kamen wir an den Ruinen von Phellos. Bevor wir die rund 1000 Höhenmeter nach Kaş (Antiphellos) abstiegen, machten wir noch Halt in Çukurbağ, wo wir ein herrliches spätes Frühstück fanden. Obwohl es schon 13:00 Uhr war, verdrückten wir ein weiteres üppiges türkisches Frühstück. Die Besitzer mussten bald zu einem Termin, liessen uns aber den Nachmittag allein im wunderschönen gepflegten Garten verbringen.
Danach ging es den steinigen Abstieg hinunter nach Kaş. Dort überraschte uns eine ganz andere Stimmung als in Kalkan: mehr lokaler und aktiver Tourismus, weniger britischer Einfluss, schmale Gassen und unzählige süsse Nachspeisen.
Abends wollten wir uns eigentlich noch mit dem deutsch-britischen Paar treffen, doch sie konnten nicht – ein Hund hatte sie gebissen. Ein Thema, das uns noch lange beschäftigte: Wie schützen wir Cleo und uns vor wilden oder streunenden Tieren? Trotz dieser Gedanken liessen wir den Tag mit einem erfrischenden Schwimmer im Sonnenuntergang ausklingen.







Wasserversorgung unterwegs
Zur Vorbereitung auf den nächsten Tag gehört unter anderem das Planen, wie viel Wasser wir benötigen. Wir rechnen mit etwa einem Liter pro Stunde, schauen, wo es Restaurants oder Quellen gibt, und besprechen, wo wir essen und schlafen könnten. Zisternen vermeiden wir, weil sie oft unzuverlässig sind.
Wenn wir von „Restaurants“ sprechen, kann das übrigens auch nur ein Raum mit ein paar Bänken sein, in dem gleichzeitig gekocht, geschlafen und Hausaufgaben gemacht werden. Oft haben wir den Eindruck, wir sind die einzigen Gäste des Tages oder der Woche. Quellen sind manchmal Wasserstellen an Moscheen oder Friedhöfen. Und wenn uns eine Quelle fragwürdig vorkommt, nutzen wir unseren Katadyn-Wasserfilter.
Entlang der Küste
Am nächsten Tag starteten wir spät, nach Einkäufen und Frühstück. Die Etappe führte entlang der Küste mit vielen einsamen Buchten, und da Cleo in der ersten Bucht eingeschlafen war, liefen wir weiter bis zur dritten. Kurzzeitig hatten wir Sorge, dass unsere Wasserplanung nicht aufging.
Eigentlich sollte es an dieser Stelle einen Campingplatz geben – mit Restaurant. Doch die Felsen, die uns den Blick auf die Bucht eröffneten, machten das Ganze ziemlich verlassen. Umso grösser die Erleichterung, als wir beim Näherkommen ein paar leere Bierkästen sahen – immer ein Zeichen von Zivilisation. So verbrachten wir eine sehr erfrischende Mittagspause mit dem einzigen Gericht, das es gab: einem Omelett (keine Pfannkuchen, sondern Eierspeise). Kein Empfang, kein People-Watching, keine Entscheidungen, nur Meer und Ruhe – sehr entspannend.
Wir beschlossen, noch zum nächsten Strand zu gehen, und dort angekommen, hatten wir eine weitere verrückte Idee: Obwohl der Abend nahte, liefen wir weiter nach Boğazcık. Hinter der Bucht hätte es traumhafte Plätze zum Wildcampen gegeben, allerdings ohne Wasser. Wir liefen in den Sonnenuntergang hinein, gestärkt von einer Tüte Chips.
In Boğazcık sollte es zwei Unterkünfte geben. Eine war wegen Hochzeitsreise geschlossen, aber wir durften stattdessen im „School Garden“ gratis zelten. Das stellte sich als ein Eukalyptushain mit Picknickplätzen heraus, vermutlich bei einer Schule oder einem Kulturzentrum. Wasser bekamen wir von der Moschee. So schliefen wir umhüllt vom Duft der Bäume – herrlich.









Schmerzen und kurze Etappen
Ivo hatte seit dem Abstieg nach Kaş Fuss-schmerzen. Unsere „medizinische Betreuung“ – ChatGPT – empfahl Kühlen, Massieren, Mobilisieren und Stabilisieren mit Kinesiotape. Das Tape hielt auf seinen behaarten Beinen allerdings nicht lange.
Vorsichtig wanderten wir etwa 7 km bis zum Purple House an der Aperlai-Bucht, wo wir frühstückten. Ivo schnorchelte durch die im Wasser liegenden Ruinen – ein magischer Moment. Danach liefen wir bis zum nächsten Restaurant, assen Mittag, pausierten während der Hitze und hängten gegen Nachmittag noch eine kleine Etappe dran.
Am Abend erreichten wir Kaleköy/Üçağız, wo uns der Tipp des Besitzers des Purple House weiterhalf. Er war früher Türsteher in Antalya und beherbergt seit 20 Jahren Wanderer. Er empfahl uns einen Platz ausserhalb des Dorfs, wo wir unter einem grandiosen Sternenhimmel zelteten.






Hornissenalarm
Am nächsten Morgen liefen wir auf fast Meeresniveau, als Marie plötzlich aufschrie: Eine orientalische Hornisse hatte sich in ihrer Schuhzunge versteckt und sie gestochen. Wir kühlten sofort. Zum Glück konnten wir weiterlaufen und erreichten eine wunderschöne Kieselsteinbucht, fast menschenleer, bis auf ein paar britische Wandererinnen. Dort ruhten wir uns aus, bevor wir weiter nach Demre liefen.
Am Andriake-Hafen (Demres Hafen) gönnten wir uns Spaghetti mit Tomatensauce, Frühstück und Bier. Cleo bekam Äpfel geschenkt. Heimlich duschten wir schon am Campingplatz.
Anderthalb Kilometer weiter kamen wir in Demre, der Stadt des Heiligen Nikolaus, an und bezogen passend im „Santa Suites“ Quartier.
Doch nachdem Marie den Schuh ausgezogen hatte, um sich zu duschen, schwoll der Fuss so stark an, dass sie kaum auftreten konnte. Ivo ging allein zu einem Treffen mit vier anderen Wanderern, kehrte mit Pide, Çiğköfte und Walnusssalat zurück – aber ohne Antihistaminikum. Also zog Ivo wieder los und brachte Baklava und das dringend benötigte Medikament mit.

Rast und Krankenhaus
Am nächsten Morgen genossen wir es, nicht im Zelt, sondern in einem Zimmer zu sein. Wir schliefen aus und freuten uns über ein köstliches Frühstück. Cleo wurde von den Gastgebern geradezu „entführt“ und eine Zeit lang von Tisch zu Tisch getragen, auch von einer anderen Familie mit Kindern. Highlight war das frisch gebackene Bazlama, ein warmes Fladenbrot, das wir mit dem Frühstück verspeisten.
Maries Knöchel war zwar noch geschwollen, aber sie konnte wieder laufen. Wir kauften Vorräte für die nächsten Etappen: Nudeln, Suppe, Haferflocken, Cracker, Nüsse. Doch Cleo hustete, Ivo fühlte sich angeschlagen, und sein Fuss brauchte ebenfalls Ruhe. Also entschieden wir uns – schweren Herzens, aber richtig – für einen ganzen Ruhetag.
In der Nacht verschlechterte sich Cleos Zustand plötzlich: starker Husten, Weinen, Atemnot. Wir gingen ins Spital. Der Hotelbesitzer, selbst Vater eines Neugeborenen, fuhr uns hin und half beim Übersetzen. Nach langen Untersuchungen ging es Cleo besser, und gegen 5:00 Uhr morgens waren wir zurück.
Den folgenden Tag verbrachten wir schlafend und erholend. Cleo war wieder quietschfidel – der Schreck sass uns aber tief in den Knochen.



Fazit dieser Woche
Diese zweite Woche am Lykischen Weg hat uns vieles gelehrt: Wir sind demütig gegenüber unseren Körpern, die uns Tag für Tag tragen. Mit Baby unterwegs zu sein bedeutet, dass vieles unvorhersehbar ist. Cleo war in ihrem bisherigen Leben sehr gesund, und so sind erste Infekte oder Erkältungen für uns noch schwer einzuschätzen. Aber wir lernen dazu, versuchen gute Entscheidungen zu treffen und uns weder von Übermut noch von Angst leiten zu lassen.
Kleine Anekdote zum Schluss
In schwierigen Passagen zweifeln wir manchmal, ob es richtig ist, was wir hier mit Cleo machen. Umso schöner ist es, wenn wir unverhofft Bestätigung bekommen. Auf der Etappe nach Kaş, nach einigen schroffen Klippen, über die wir geklettert waren, trafen wir eine ältere Dame am Wegesrand. Sie sagte: „Was ihr macht, ist das Beste, was man mit Kindern machen kann – sie einfach überallhin mitzunehmen, wohin ihr geht. You made my day.“
Sie erzählte, dass sie selbst viel mit ihren Töchtern unternommen habe, nun aber denke, es wäre noch viel mehr möglich gewesen. Diese kurze Begegnung hat uns sehr gefreut und uns bestärkt, unseren Weg so weiterzugehen.
Ausblick
Heute, während wir das schreiben, sind wir bereits wieder unterwegs – am dritten Tag nach Demre. Es geht uns allen wieder gut, und wir laufen im Sonnenschein dem langen Strand bei Finike entlang. 🌊☀️
Möchtest du wissen, wie unser Abenteuer weitergeht oder maximal einmal pro Monat einen Newsletter mit Informationen zu neuen Posts und Seiten auf der Webseite erhalten? Dann abonniere den Newsletter.